Ein Schwanz packt aus

Es ist Frühling in Kalifornien. Die Gartenzäune in San Rafael an der San Pablo Bay bei San Francisco leuchten. Pünktlich um zehn Uhr fährt ein Jeep am verabredeten Treffpunkt vor. Auf dem Rücksitz liegt ein junger Schäferhund, das Auto ist voller Hundehaare. Ein Mann steigt aus: 1 Meter 67 klein, schlampige Jeans, Jeansjacke, schwarzes Hemd mit weißen Tupfen und Perlmutt-Druckknöpfen. Da ist er - der Titan, der Augenverdreher, der Maniac: Klaus Kinski.
Weiße, strubbelige Strähnen bis zum Kragen, eine Haut wie eine Schildkröte, die in der kalifornischen Sonne bleich glänzt. Ich fange mit einer Small-Talk-Frage an: "Wie heißt denn der Hund?"
Ich mag eigentlich keine Hunde, aber Hundebesitzer lieben Fragen nach ihren Kötern. Normalerweise.
"Wieso wollen Sie das wissen?" bellt mich Kinski an.
"Ah, nur so..."
"Es ist grauenhaft. Hier fragt jeder: "What is your name, what is your telephone number? Ekelhaft, was, zum Fuck, geht das jemanden an?"
Ich habe die erste Tretmine getroffen. Kinski gibt kein Interview. Ein Interview ist normalerweise ein Frage-und-Antwort-Spiel. Und Kinski spielt nicht mit. Meine Fragen beantwortet er nicht, er deckt sie mit einem unendlichen Monolog zu. Und er hat Schnupfen.
"... Hätten Sie mir doch ein paar Tempo-Taschentücher mitgebracht anstelle dieser Zeitung hier, TEMPO, das Papier ist auch so schlecht und dünn, das löst sich ja gleich auf, wenn ein Tropfen drauf fallt."
"Äh..."
"... Das alles kommt mir so vor, das steht auch in meinem Buch, wie eine Horde von alten Frauen in Rollstühlen, die hatten alle so bonbonfarbene Kleider an, als ob man sie verhöhnte, und jede hat einen Luftballon an den Rollstuhl gebunden, je nach der Farbe ihres Kleides. Das ist eigentlich traurig..."
"Äh..."
"... Damals übrigens, Interview mit dem ‚Rolling Stone', wo ich dann gar nicht hingefahren bin, die wollten auch 'ne große Geschichte machen, da dachte ich, kann ich auch ein andermal machen. "Bild" hat mir erzählt, daß 92 Prozent der Leser die Zeitung nur wegen meiner Serie gekauft haben (Anm.: Die "Bild'-Serie: "Bitte hab' ich nie gesagt" aus Kinskis Autobiografie). Das erzählen die nicht, wenn es nicht stimmt..."
Wir stehen auf einem Parkplatz, und Kinski kann sich nicht entscheiden, was weiter geschehen soll. Eigentlich wollten wir zum Meer fahren und dort Fotos machen.
"Aber dazu ist es jetzt zu spät. Wir brauchen mindestens anderthalb Stunden hin und ebensoviel zurück. Und dann ist es dunkel. Ich kenne das. Und überhaupt.. "
Es ist halb elf Uhr vormittags, das Meer ist keine 20 Kilometer weit weg. Ich versuche zu widersprechen. Vergeblich.
"... Und überhaupt, ich will auf das Cover Ihrer gräßlichen Zeitung, aber eigentlich sind ja alle Zeitungen heutzutage ekelhaft, man muß sich das nur anschauen. Da schau ich ins Heftinnere, und da steht: ,Make-up' -der und der Name! Make-up! Und dann: "Gesamtgestaltung"! Haha, das ist ja ekelhaft. Als ob es nicht so viele schöne junge Menschen gäbe, so viele wie nie zuvor."
Irgendwie schaffen wir es, von diesem blöden Parkplatz wegzukommen, auf dem wir uns verabredet hatten. Wir schlendern in ein Cafe. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem türkischen Restaurant vorbei. Kinski redet ununterbrochen.
"Das Restaurant wechselt dauernd den Besitzer, mal griechisch, mal vegetarisch.."
Todesmutig versuche ich, eine Frage loszuwerden, damit das hier etwas Interviewähnliches wird: "Sind Sie auch Vegetarier?"
"Kommt darauf an."
Fehlanzeige. Im Cafe geht das Spiel weiter. Kinski raucht Marlboro 100 light in der Nichtraucherecke und schnauzt seinen Schäferhund an, dessen Namen er nicht verraten will. Manchmal streichelt er den Hund, seine Hände fahren zärtlich und intensiv über die Schnauze, mit langsamen, sensiblen Bewegungen, dann wieder brüllt er ihn an, knurrt und schreit wie ein Tier. Kinski, der Wolf, Kinski, die Bestie.
Der Monolog läuft weiter.
"In Italien ist das ganz anders. Da hatte ich irgendeine Auseinandersetzung mit der Polizei und gehe zu den Carabinieri, die schütteln mir die Hand und wollen gleich ein Autogramm..."
Zum drittenmal versucht der Fotograf, eine Frage einzuwerfen, um herauszukriegen, ob wir heute noch Fotos machen:
"Wie legen wir's Jetzt an?"
Der Fotograf hat einen österreichischen Akzent, und endlich geht Kinski auf die Frage ein. Beinahe. "Sie sind Österreicher? Ja? Ich hätte einmal ein Schloß in Österreich haben können, das ist ganz einfach, man bekommt es geschenkt, muß aber für den Unterhalt selbst aufkommen. Und ich wäre sowieso nie dagewesen. Ein Kameramann hat mir mal eine echte österreichische Rauchwurst mitgebracht, die sind ja jetzt ganz selten und sehr teuer, wenn man sie überhaupt bekommt..."
Wie war noch gleich die Frage?
Kinski kommt vom Hundertsten ins Tausendste und trifft immer nur Kinski. Kinski im Kinski-Kosmos. Manchmal ist er ganz ruhig, und sein Redefluß plätschert dahin. Dann schaut er mich mit seinen stahlveilchenblauen Augen an. Augen wie Sterne aus Topas. Ein Blick ins Zentrum des Lebens. Seine breiten Lippen, fleischig, wie frisch aufgeschnitten, öffnen und schließen sich wie eine fleischfressende Pflanze. Dann erregt er sich plötzlich, die Welt besteht aus "Fuck", aus "frigiden Nutten", und höhnisch zieht er über eine Sekretärin der Bild-Zeitung her.
"... Und diese Zicke fragt, ob ich nicht ein paar Fotos hätte, wie hat sie sich ausgedrückt? ,Ich wünsche', ha, ,ich w-ü-n-sch-e, da habe ich gesagt: ,Fuck you ..!"
Kinski spuckt die Worte aus, seine Zähne stehen ein wenig nach vorne, als ob das ständige Ausspucken von "Fuck you" sie ihm verbogen hätte.
"... Ich habe dann zum Chefredakteur von ,Bild' gesagt: ,Was ist denn das für eine Nutte?' Und der hat gleich geantwortet: "Natürlich, Herr Kinski, selbstverständlich, Herr Kinski...'"
Wir verlassen das Cafe. Unterwegs holt Kinski ein paar Fotos ab und besucht einen Schreibmaschinenladen. Wir - der Fotograf, ich und der Hund -immer hinterdrein. Endlich kommen wir wieder auf dem Parkplatz an, und Kinski schmeißt Fünf-Cent-Münzen in die Parkuhr, bis ich nervös werde und 25 Cent reinwerfe.
Jetzt haben wir zweieinhalb Stunden Parkzeit - und Kinski hat Redezeit, allerdings ohne ein Interview zu geben. Er schimpft auf die Presse: "... Nichts gegen Sie persönlich, aber heutzutage kann sich ja jeder Journalist nennen. Ha, von nichts eine Ahnung, alles Hochstapler..."
Mir schwirrt der Kopf, und ich stelle eine dämliche Frage: "Sind Sie ein Hochstapler?"
"... Das ist typisch. Was für eine dämliche Frage! Gibt es Schulen, wo man lernt, so doofe Fragen zu stellen?" "Ich wollte nur auch einmal eine Frage stellen..."
"Ja, hahaha, da war mal eine Journalistin, die hat mir gesagt: ,Herr Kinski, bei Ihnen kommt man ja gar nicht zu Wort.' Aber ich rede das, was ich will, und damit basta. Und wem das nicht paßt, fuck 'em. Es ist ja so traurig, "Paris Match wollte mal eine große Story mit mir machen, habe ich abgelehnt. Warum? Weil! es! mich! nicht! interessiert!"
Kinskis Kredo hallt über den Parkplatz.
"Wenn ich eine Sache mache, muß es mich interessieren. Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt mit Ihnen hier reden will."
"Wir sind aber extra für Sie nach San Francisco gefahren, ich habe mir seit Monaten ein Bein ausgerissen, um Sie zu treffen .. "
"Das interessiert mich nicht. Es gibt eine Fernseh-Show in New York, die hat zwei Jahre auf mich gewartet. Und eine italienische Journalistin, die hat Monate in einem Apartment in Los Angeles ausgeharrt, bis ich sie empfangen habe. Diese Journalisten, sie haben alle einen Zettel mit ihren Fragen, und dann rede ich sowieso nur von dem, was mir paßt. Und dann wird es großartig, die Journalisten machen dann eine Mordskarriere. Zum Beispiel die Frau, die mich für ihr Buch interviewt hat, da hat der amerikanische ‚Playboy' Auszüge gebracht, 20 Seiten, nur über mich..."
Herr Kinski, ich habe auch einen Zettel mit Fragen bei mir, aber eigentlich bin ich nur gekommen, um eine einzige Frage zu stellen: Haben Sie Angst vor dem Tod?"
"Was für eine gräßliche Frage ..." Jetzt kommt sie mir auch peinlich vor, aber zu Hause, als ich alles über Kinski las, war er mir wie das leibhaftige Leben vorgekommen. Ein impulsives, emotionales Leben, bewußtlos, zuckend, fickend, prassend. In Kinskis Autobiografie, "Ich brauche Liebe", wird gerammelt, gevögelt, gebumst, gefickt, gerodelt, gestochert und gestoßen, daß das Sperma rausrinnt, wenn man das Buch senkrecht hält. Meist sind es erstaunlich häßliche Frauen, mit Damenbärten, knochigen Hüften, Hämorrhoiden, Hängetitten, extremer Schambehaarung oder stechend riechend. Kinski, das Tier, eine alles verschlingende Qualle, er saugt alles ein und spuckt es wieder aus. Kinski, ein einziger animalischer, explosiver Augenblick. Einer, der sich nichts schenkt, der mit 61 eine vollbusige 17jährige Italienerin heiratet (und seine Frau vorführt: "Seht her, diese Möpse!"), der sich mit unzähligen Frauengeschichten brüstet, der den Regisseur Werner Herzog dazu zwingt, ihn huckepack zum Drehort zu tragen, wo dann er, Kinski, die Regieanweisungen gibt, während Herzog ihm winselnd die Schuhe putzt. Hat so ein egomanischer, wilder Erdbeermund Angst vor dem Tod?
"... Was für eine gräßliche Frage. Was bilden sich die Leute eigentlich ein? Das ist so eine... eine... Frage... Wissen Sie, ich habe mal Edward G. Robinson in der Kantine getroffen, er war übrigens ein Arschloch, aber der hat sich noch richtig verhalten. Da wollte ein Regisseur, daß er von links in ein Auto steigt. Aber er wollte das nicht. Edward G. Robinson sagte: ,Ich steige nur von rechts in ein Auto' ,Aber dann müssen wir das ganze Studio umbauen', meinte der Regisseur.
,Ist mir doch egal!' So muß man es machen! Wenn sie einen wollen, müssen sie zahlen, bluten!!!" Kinskis Stimme überschlägt sich.
Wir stehen immer noch auf diesem blöden Parkplatz in San Rafael. Eine junge Frau kommt vorbei und fragt nach dem Schäferhund, wie es eben nette Good-Neighbor-Amis machen. Da kommt sie bei Kinski, der Tretmine, an den Richtigen. Er beschimpft sie wüst: "Was geht Sie das an? Natürlich ist das ein Schäferhund! Meinen Sie, damit hätten Sie was Intelligentes gesagt? Fuck you, fuck you! Eine wirklich philosophische Feststellung, werden Sie das zu Hause Ihrer Familie erzählen, daß Sie heute einen Schäferhund erkannt haben? Fuck you, fuck you!!" Kinski, der Springteufel, das fleischgewordene Zyankali. Er paßt nicht nach Kalifornien. Jederzeit kann die Bombe hochgehen. Alte Schlagzeilen berichten von früheren Explosionen: "Kinski wirft mit Kerzen", "Kinski verprügelt Schauspieler", "Neuer Skandal um Kinski", "Kinski schmeißt die Fenster des Deutschen Theaters in Berlin ein", "Kinski wegen unbezahlter Rechnungen gesucht", "Kinski wütet nach seiner Hochzeit durch die Innenstadt von Rom", "Kinski wegen Prügelei mit Polizisten festgenommen".
"... Ach, es ist alles so ekelhaft. Es wäre ja ganz lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Stanley Kubrick, zum Beispiel, der wiederholt eine Aufnahme bis zu 120mal. Das ist ja verrückt. Und das habe ich auch mal in einer Zeitung gesagt. Ich habe ihn dann in Cannes getroffen, ein kleiner, dicker Mann, und er fragt mich, wie ich so was sagen könne? Cannes ist ekelhaft, diese Menschen, und die maßen sich an, über Filme zu urteilen! Sind die als Kritiker auf die Welt gekommen? Steht das in ihrem Paß?"
1988 in Cannes wurde Kinskis letzter Film, "Paganini", wegen "zuviel Pornografie" vom Wettbewerb ausgeschlossen.
"... Da fragt mich eine Journalistin: "Sind Sie ein von bösen Geistern verfolgter Mensch?" Ich sage dann: ,Ich weiß gar nicht, was Sie damit meinen.' Und das in einer Live-Sendung. Sie wurde ganz blaß, weil sie überhaupt nichts mehr wußte, und dann machen sie da so was wie im Film, äh, im Fernsehen, einfach ein Bild reinschalten, also, die sind völlig durcheinander, wenn man ihr Konzept durcheinanderbringt. .Es gibt immer einen Anlaß, daß man diese Geschichten erzählt, man wird provoziert, und dabei will ich gar nicht über diese alten Geschichten reden. Über diesen Scheiß. Man weiß, daß Scheiße stinkt, also muß man nicht darüber reden. Wenn man aber in Paris lebt, wie ich lange Zeit, in Gegenden, die eigentlich die schönsten sind vom alten Paris, und man! kann! nicht! gehen!, weil man nur in Hunde! scheiße!!! tritt. Nur in Hundescheiße! Dann brüllt man den ganzen Tag: Verfluchte Hundescheiße!! Okay, das ist, weil man in Hundescheiße tritt, sonst denkt man nicht an Hundescheiße."
Kinski pflügt. Er begräbt alles unter sich. Hinter Kinski wächst nichts mehr. Menschen, mit denen er jahrelang gearbeitet hat, grüßt er nicht mehr auf der Straße.
Seine Brüder, Arne und Hans Joachim, die als Rentner in Berlin leben: "Wir haben seit 35 Jahren nichts mehr von ihm gehört. Unsere Briefe werden nicht beantwortet. In seinem Buch hat er einen unwahrscheinlichen Schmutz über unsere Familie verbreitet. Nichts davon stimmt." Kinskis Buch mußte mehrmals von Rechtsanwälten auf Beleidigungen hin durchforstet werden.
Die 83jährige Anja Wiemuth, deren Mann nach dem Krieg ein Theaterstudio in München besaß, erinnert sich an den frühen Klaus Kinski: "Es war kurz nach dem Krieg, da tauchte er auf, barfuß, abgebrannt kam er aus Berlin. Mein Mann engagierte ihn für sein Theater, und er wohnte zwei Monate lang bei uns. Er hat alles in Beschlag genommen, das Telefon, die ganze Wohnung. Und er hat nur über sich geredet, Kinski interessierte sich nur für Kinski. Seine Geliebten hat er immer mit Geschenken überhäuft, egal, ob er Geld hatte oder nicht. Zwei Monate hat er bei uns gewohnt, dann habe ich ihn rausgeschmissen. Eine Geschichte, über die ich nicht reden will. Aber er war schon ein toller Schauspieler. Schade, daß er sein Talent so vergeudet hat."
Kinski hat sich verschleudert. An die Frauen: "Ich denke an die wunderschönen Jüdinnen, die ich gefickt habe, als ich das erste Mal in Israel war. Die Frau des Diamantenhändlers, die Maskenbildnerin, das arabische Mädchen mit der rauen Kehle, die Bedienung im Hilton, die Köchinnen ..."
Kinski hat sich verschwendet. In den Filmen: "Früchte der Leidenschaft", "Der schwarze Abt", "Ludwig II", "Der Dirnenmörder von London", "Nachtblende", "Nosferatu - Phantom der Nacht", "Leichen pflastern seinen Weg", "Madame Claude und ihre Gazellen", "Geheimcode Wildgänse" und so weiter. Angeblich sind es über 250 Filme. 137 habe ich gezählt.
Kinski redet weiter: "... Diese Zeitung von hängenden Schwänzen, wie heißt die? .Playgirl..." Verächtlich spuckt er diesen Namen aus.
"Wollen Sie da auch mal rein?" frage ich. Aber er hört nicht zu.
"... Jede Nutte würde denen in die Eier treten, wenn die überhaupt welche haben. Da behaupten einfach irgendwelche frustrierten Zicken..."
Kinskis Stimme schraubt sich zu einem schnaubenden Tremolo hoch. "... Behaupten plötzlich, weil sie auf irgend jemanden geil sind, das sei ein Sexsymbol. Nächsten Monat spricht kein Mensch mehr davon. Es wird einfach irgendwas behauptet. Und wenn sie bei irgend jemandem anders rumfummeln können, bilden sie sich maliziös ein: ,Ah, den könnte man reinlegen.' Es ist einfach zum Kotzen. Es ist so... Die wollen sich einen abwichsen... Das ist so wie mit den T-Shirts..."
"Was??"
"In Amerika kann man T-Shirts kaufen, wo drauf steht: ,I like my grandmother' oder eine Biermarke, da zahlt man 20 Dollar, und man macht Reklame für die Bierfirma..."
Kinski ist empört.
"... die Bierfirma sagt sich, wenn die Leute so doof sind und 20 Dollar zahlen, dann sollen sie das nur tun. Da haben sie ja nur recht... Ich habe mal einen israelischen Geheimdienstchef gespielt, in der ‚Libelle', eigentlich eine doofe Geschichte, und da haben die Leute gesagt, ich könne das nicht spielen, weil ich kein Jude bin. So was Blödes. Dann könnte man ja auch fragen, wenn ich AI Capone spielte, ob ich schon mal jemanden umgebracht hätte. Aber das ist ja nur doof und so langweilig..."
Kinski ist wie eine dieser Glaskugeln, die man schüttelt, und dann schneit es. Man schaut sich das Gestöber an und kommt doch nie rein.
Rilke hat mal ein Gedicht geschrieben, über einen Torso, wie der auf ihn gewirkt hat, und am Ende heißt es: ,Ich muss mein Leben ändern.' Es ist ungeheuerlich. Da steckt alles drin ..."
Kinski bebt.
"Aber die Künstler sind alle Stümper, die leben nicht mit den Erkenntnissen. Sie wiederholen sich immer wieder. Es ist immer wieder dasselbe ..."
Kinskis Stimme ist traurig, einsam sucht sie am Boden nach etwas Sinn im Leben.
"Und wie sagt man? Wie heißt das? Ganz egal, ob es ein Foto ist oder ein Wort, es wird immer wieder angefressen. Und das und das und das. Immer wieder diese Fragen, wie ich lebe, und das und das und das. Was soll das Ganze? Was wollen Sie schreiben?"
"Ich will..."
"In Deutschland ist es ja ganz schlimm. Diese Pressekonferenzen, die ich da gemacht habe, ich habe sehr viel Geld dafür bekommen, dieses ganze Scheißfernsehen da zu machen. Und da schreien manche einfach dazwischen: Wieso haben Sie, hö, hö, hö!...'"
Kinski keucht.
",Wieso, hö, hö, haben Sie ...' ,Halt doch die Schnauze, du Nutte', habe ich gesagt."
Kinski brüllt.
"Es ist einfach, wenn etwas passiert, dann schreien sie alle durcheinander."
Jetzt ist er wieder gut gelaunt und kichert.
"Es ist einfach wie eine Lynchjustiz. Es kommt darauf an, wer die größeren Steine hat..."
".. .Weswegen, das ist mir egal, auf jeden Fall stimmt die Antwort. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll..."
"Sie haben auf jeden Fall Glück, daß ich so gute Laune habe ..."
"Und wie sind Sie, wenn Sie schlecht gelaunt sind?"
"Auf jeden Fall, ich habe jetzt diesen Schnupfen, und ich traue Ihrer Zeitung nicht, und deshalb möchte ich kein Interview geben, bevor das nicht geklärt ist, ob ich jetzt auf den Titel komme oder nicht."
Und so habe ich kein Interview gemacht.

© 1991 by Tempo

Ein herzliches Dankeschön an Jens Alting und Henning Plagemann, die mich erst auf diesen Artikel aufmerksam gemacht haben und mir Fotos und Inhalt zukommen ließen.

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